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Letztes Jahr haben wir Österreich entdeckt. Dass es
überhaupt existierte, wussten wir natürlich schon früher. Doch irgendwie
waren da bisher nur Klischees und Lückenhaftes: Hansi Hinterseer
und Jörg Haider, D.J. Ötzi und Reinhard Fendrich, Wörthersee-Schickeria,
das ganze Alpenländische an sich, Rentnerurlaubsland, die vielen
Wirtschaftswunderfilme mit den Ösi-Stars von Hans Moser bis Peter
Alexander, und dergleichen mehr. Voriges Jahr hat uns dann zuerst
ein verlängertes Wochenende in Wien sozusagen die Augen geöffnet
und später im Jahr hinterliess der Aufenthalt am Neusiedler See
bleibenden Eindruck. Östlich von Wien ist alles ganz anders. Da
hat das Hochgebirge nur mehr wenig zu sagen. Höchstens noch als
Faktor mit Auswirkungen auf das Klima. Am Neusiedler See fühlten
wir uns fremd und doch heimisch, mit dem kulturellen und landschaftlichen
Einfluss der weiter östlicher gelegenen Länder und den Assoziationen
an französische Landstriche. Diese Reise war sehr nachhaltig und
beschäftigte uns noch den ganzen Herbst über. Im Winter sahen wir
zudem eine TV-Dokumentation über die March, Grenzfluss zwischen
Österreich und der Slowakei. Ein Fluss, der noch wie in früheren
Zeiten die Zyklen des Jahreslaufs ausleben darf, der im Frühjahr
weite Flächen überflutet und im Sommer dann in seinem eigentlichen
Bett fliesst. Die gezeigte Auenlandschaft war natürlich völlig typisch,
wie eben Auenlandschaften so sind, in Bann gezogen hat uns jedoch
das Umland, dieses weite und leicht wellige Land - das Weinviertel.
Den Rest kann man sich denken: Beginn mit der Recherche und ausgiebige
Planung, Besorgung von Kartenmaterial und Zugtickets, und schliesslich
das ungeduldige Herbeisehnen des Reisebeginns.
Besonders ungeduldig bin ich am Tag der Abreise selber, denn es ist Donnerstag, Christi Himmelfahrt, Feiertag (und damit arbeitsfrei) und wir sitzen tatenlos in der Wohnung herum, weil unser Zug erst abends um 22:40 in Richtung Wien abfährt. Natürlich nicht tatenlos im eigentlichen Sinn, schliesslich hat man ja auch noch diverse Vorbereitungen für die Reise zu treffen, die Wohnung in Ordnung zu bringen, den Zimmerpflanzen einen letzten Schluck Wasser zu gönnen, etc. pp.. Trotzdem schleicht sich so ein vages Gefühl der Zeitverschwendung ein und macht mich unruhig. Aber was soll man machen? Die Möglichkeiten der Velomitnahme in Fernverkehrszügen ist beschränkt und der Nachtzug nach Wien ist für uns immer noch die beste Lösung, um in einem Hupf bis zum Startpunkt der Reise zu kommen. So füge ich mich ergebenst und scharre lediglich heimlich mit den Hufen. Als ich am späten Nachmittag nochmals den Reifendruck unserer Räder prüfe, hat der Vorderreifen der Speedmachine prompt einen Platten. Letztes Wochenende bin ich das Rad noch gefahren und alles war in Ordnung, und jetzt das. Dann halt noch mal einen neuen Schlauch einziehen, immerhin kann man sich auch so die Zeit vertreiben. Als wir zum Bahnhof aufbrechen wollen, ist der Reifen erneut platt. Was sagt man dazu? In letzter Zeit passiert mir so was öfters – dabei suche ich den Mantel wirklich möglichst gewissenhaft nach noch verbliebenen Dornen oder Scherben oder sonstigen spitzen Gegenständen ab. Wenn es nicht so sonderbar klingen würde, möchte ich meinen, dass meine Fahrräder auf meine innere Verfassung reagieren. Nun, das Ende vom Lied, das erst am Anfang steht: die Speedmachine bleibt zuhause und stattdessen kommt das schwarze Flux mit auf die Reise. Nur noch schnell einen zusätzlichen 20er Ersatzschlauch ins Gepäck und schon ist umdisponiert.
Endlich sitzen wir im Zug in der übersichtlichen Zweierkabine am Fenster und sehen die Lichter unserer Stadt und der Ortschaften um den See vorbei gleiten. Wir sind unterwegs. Brechen auf zu einer Reise, die ihren Anfang am thematischen Ende der letzt jährigen Sommerreise nehmen wird: in der Wachau. Mit dem Rad sind wir damals von München bis Melk gefahren, haben die Wachau bis Krems mit dem Schiff erkundet und genau dort, in Krems also, werden wir dieses Mal ansetzen. Wir werden jedoch nicht der Donau folgen, sondern uns vielmehr ins Hinterland schlagen, und uns durch das Weinviertel treiben lassen, dabei einige Streckenabschnitte des Kamp-Thaya-March-Radweges nutzen und in der zweiten Urlaubswoche am Neusiedler See ausspannen und unserer neuen Leidenschaft, dem Vogelbeobachten, frönen. Und irgendwie passt das dann schon mit dem Wechsel von der Speedmachine zum Flux, schliesslich war das schwarze Ross ja auch letztes Jahr auf dem Weg von München nach Österreich mit von der Partie und es „darf“ die von ihm begonnene Reise nun weiterführen...
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